Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Mai 2005
Das ist der Horror pur
Lebendig begraben: Was passiert, wenn Quentin Tarantino die Krimiserie
"CSI" inszeniert
PHOENIX, 22. Mai
Quentin Tarantino hat abermals jemanden lebendig begraben. Doch diesmal reicht kein konzentrierter Fingerspitzenstoß
der schönen Uma Thurman zum Entkommen. Dieses Mal ist der Sarg aus Plexiglas, und nur ein Tonbandgerät, eine geladene Pistole
und eine Webcam leisten dem Eingeschlossenen Gesellschaft. Das Opfer ist Nick Stokes (George Eads), Forensiker des "CSI"-Teams.
Der Kinoregisseur Tarantino, der für "CSI" die Episode namens "Grave Danger" inszenierte, hat sich zuvor
bereits bei Serien wie "ER", den "Golden Girls" und "Alias" in seinem Metier versucht. Er ist bekennender "CSI" und findet,
die Hauptfigur Gil Grissom sei "der beste Ermittler seit Columbo". Mit ihm inszenierte Tarantino nicht weniger als die Abschlußepisode
der laufenden Saison. Wie stets bei Tarantino war ein Stück Filmgeschichte im Spiel: Er habe sich zu der Story von einem Fernsehfilm
von 1972 namens "The Longest Night" inspirieren lassen, in dem ein Entführungsopfer lebendig begraben wurde. Der Sohn des
Regisseurs dieses Films ist einer der Schnittmeister von "CSI".
Obwohl es verständlich ist, daß sich CBS vor Stolz über die Zusammenarbeit fast überschlug, so trug der
Sender doch derart dick auf, daß man fast sicher war, enttäuscht zu werden, tat CBS doch so, als sei "CSI" nun die Fortsetzung
von "Kill Bill" im Fernsehen. Dabei ist das Spannende an Tarantinos "Seitensprung" doch die Frage: Wie bringt jemand, der
sonst mit kunstvoll inszenierten Gewaltorgien, wüstem Vokabular und absonderlichen Sexphantasien sein Kinopublikum beglückt,
zwei Stunden unterhaltsames Fernsehen zur Hauptsendezeit zustande?
Tarantino, der "Grave Danger" schrieb und inszenierte, ging ausgesprochen vorsichtig an die Sache heran
und begann ganz leise - um einen Horrorfilm zu inszenieren, der mit dem Schlüsselelement des Albtraumhaften spielt: der Ohnmacht,
sich oder andere aus auswegloser Lage zu befreien. Die Episode setzt ein mit dem üblichen Einsatz am Verbrechensschauplatz,
zu dem die CSI-Leute gerufen werden. Das zu besichtigende Beweismaterial: ein verschlungener Haufen Gedärm, das, wie sich
zeigt, einem Hund gehörte und als Lockmittel diente, einen Forensiker zu entführen. Wenig später erwacht Nick Stokes in einem
engen Plastiksarg und wartet, Panikanfälle unterdrückend, auf Rettung, während seine Kollegen per Webcam zuschauen müssen,
aber nichts tun können. Tarantino diktiert zwei Stunden Hoffen und Bangen und spreizt sich dabei dann doch ein wenig, wenn
er in einer dramaturgisch völlig überflüssigen Sequenz Tony Curtis und den vor ein paar Tagen verstorbenen Frank Gorshin über
Leben und Kollegen witzeln läßt. Mit gemächlichem Tempo entfaltet Tarantino den Horror geschickt. Ausgerechnet wenn es um
einen der Ihren geht, vermag ihre Spitzentechnik dem Forensiker nicht zu helfen. Gerade mal zur Hälfte des Films sprengt sich
der Täter (Motiv: eine durch CSI-Beweisführung zu Unrecht eingesperrte Tochter) in die Luft, ohne einen einzigen Hinweis auf
Stokes Aufenthaltsort zu hinterlassen. Man verzweifelt mit dem hervorragend spielenden Gary Dourdan, in der Rolle von Stokes
Freund Warrick Brown, über den Zufall - die beiden hatten per Münzwurf entschieden, wer an den Tatort fuhr. Nur kurz, in einer
schön überdrehten Halluzinationssequenz, gönnt Tarantino seinen Zuschauern etwas Erleichterung.
Dreißig Millionen Zuschauer haben sich "Grave Danger" angesehen, und darüber ist nicht nur CBS glücklich.
Quentin Tarantino sagte der Zeitung "USA Today", er fühle sich "wie ein kleines Kind, das ,Raumschiff Enterprise' guckt und
sagt: Wäre es nicht cool, wenn Spock und Kirk dies und das tun müßten? Und ich hatte die Gelegenheit dazu!" Er hat sie wirklich
genutzt.
NINA REHFELD
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