Frankfurter Rundschau - Unabhängige Tageszeitung
(DEU) 17.10.1996
Die Macht und ihr Preis / Lee Tamahoris Film aus
dem Los Angeles der 50er Jahre: "Nach eigenen Regeln"
Von Peter Körte
FRANKFURT A. M. Die Spur führt zurück.
Ins Kino. Wenn die ersten Titel auf der Leinwand erscheinen, denkt man sofort an Chinatown, und wenn sich Dave Grusins sanfte
Soundschwaden über die Bilder legen wie Dunst und Smog vor das kalifornische Licht, wird die Assoziation zum Verdacht. Mulholland
Falls, das ist nicht nur ein Ort als Titel wie Chinatown; auch dieser Ort ist wie sein Vorbild eine Metapher. Chinatown, das
war die Vergangenheit und ihre Dämonen, Mulholland Falls, das ist die Macht und ihr Preis, die Verstrickung in ein Szenario,
das über die Kompetenzen der Akteure geht. Und wer das Spiel mit Anagrammen mag, kann aus Hollis Mulwray, dem ermordeten Chef
der Wasserversorgung in Chinatown, noch die Rudimente von "Mulholland" herauslesen.
Das ist das Schöne an diesem Filmund zugleich
seine Achillesferse. Er ist von der Aura des Vorbilds verstrahlt wie der Körper der jungen Frau, die man zu Beginn ermordet
auffindet. Auf dem Röntgenbild ist dort, wo ihre Ferse sein müßte, nichts zu sehen: eine Folge radioaktiver Strahlung. In
Mulholland Falls liegt dort, wo sich das Flair von Chinatown verflüchtigt, nur das Grau in Grau einer sauber konstruierten
Crime Story vorm historischen Hintergrund der fünfziger Jahre.
Lee Tamahori, der Neuseeländer, den Hollywood
nach seinem Once were Warriors (Die letzte Kriegerin) sofort einkaufte, darf von der ungebärdigen Kraft und Wildheit seines
Debüts kaum etwas ahnen lassen. Seine Inszenierung fällt gedämpft-konventionell aus, obgleich er vor und hinter der Kamera
über eine Besetzung verfügt, die Großartiges verspricht. Nick Nolte, Chazz Palminteri, Chris Penn und Michael Madsen sind
die "Hat Squad", eine Spezialeinheit des LAPD, Jennifer Connelly und Melanie Griffith spielen die beiden weiblichen Hauptparts,
John Malkovich und Bruce Dern gesellen sich auch noch hinzu. Und mit Haskell Wexler (Kamera) und Richard Sylbert (Production
Design bereits in Chinatown) finden sich im Team zwei Veteranen, die Design und Ambiente der Fifties noch aus eigener Anschauung
kennen. Doch das Potential liegt weitgehend brach.
Mulholland Falls pflegt gekonnt das Spiel mit
Verweisen und Zeichen. Ein Amateurfilm in Schwarzweiß, das Objekt der Begierde, eröffnet den Film. Und in viele Spiegel müssen
die Figuren blicken, durch viele Türen müssen sie gehen, hinter denen unangenehme und verbotene Wahrheiten liegen, und sich
als Gesetzeshüter über das Gesetz hinwegsetzen. "Wir sind nicht in Amerika. Wir sind in L.A.", sagen die vier Cops zu dem
Mafioso, den sie herabstürzen vom Mulholland Drive, der den oberen Rand der Hollywood Hills säumt und von dem jemand mal gesagt
hat, aus der Luft betrachtet sehe er aus wie eine lasziv hingestreckte Frau (der Abgestürzte ist übrigens kein anderer als
William Petersen aus William Friedkins To Live and Die in L.A., 1986). Die Cops tragen bei der Dreckarbeit Maßanzüge und -hüte,
auch ihre Befugnisse haben sie sich auf den Leib schneidern lassen: Sie sind bei ihrem Feldzug gegen das organisierte Verbrechen
nur dem Chef des LAPD verantwortlich.
Der weitere Plot offenbart nichts Sensationelles.
Die Ermordete wird gefunden, es ist die Ex-Geliebte von Max (Nolte). Die Ermittlungen führen ins Sperrgebiet in der Wüste,
denn auch ein General und Vorsitzender der Atomenergiekommission (Malkovich) war ein Lover der Toten. Nolte macht den Fall
mehr und mehr zu seiner Privatsache: aus Schmerz um den Tod der Geliebten, aus Angst um seine glückliche Ehe. Doch die übergeordneten
Interessen, mit denen die Entdeckungen kollidieren, sind stärker als die Macht der Glorreichen Vier.
"Ich habe nichts mehr zu verlieren", sagt Noltes
Figur, nachdem man auch seiner Frau den kompromittierenden Film zugeschickt hat. Er scheitert, doch er überlebt, und auf dem
Friedhof endet es: Langsam wird Max' Frau (Melanie Griffith) zum bewegten Punkt zwischen lauter starren Grabsteinen. Bis in
die stille Verzweiflung der Schlußgeste hinein bleibt Mulholland Falls Chinatown verpflichtet. Was darüber hinausweisen könnte,
ist nur verwaschene Andeutung: die Desillusionierung der Nachkriegszeit hat begonnen, die heile Welt von Suburbia, der Optimismus
der Sieger die ersten Risse bekommen.
Irgend etwas fehlt. Der bedächtige Rhythmus, die
leuchtenden Farben und fließenden Bewegungen, das minuziös nachempfundene Ambiente, durch das bisweilen zu proper und perfekt
die Oldtimer gleiten - alles stimmt. Mulholland Falls verfügt auf der Oberfläche über atmosphärisches Gespür, doch darunter
nicht über die erzählerische Energie, die die einzelne Geschichte mit den Mythen der Stadt aufladen könnte. Robert Townes
- für die Filmversionen von Chinatown und The
Two Jakes drastisch begradigte
- Drehbücher waren im Kern so etwas wie eine fiktive
Chronik von L.A. zwischen dem Ende der dreißiger und dem Ende der vierziger Jahre. In der Story um den Privatdetektiv Jake
Gittes handelten sie zugleich vom Elementaren, das die Stadt im Innersten zusammenhält: Land, Wasser und Öl, die Elixiere
von Reichtum, Macht und Verbrechen. Das Uran in Mulholland Falls hingegen glimmt nur schwach, kaum mehr als der Hitchcock-
sche McGuffin in Notorious. In seiner hingebungsvollen Nostalgie hat Nach eigenen Regeln die Schärfe des Zeitporträts verwischt.